Infoflugblatt „Siegt die Forschungsfreiheit über die Menschenwürde?“

Münchner Initiative gegen die Menschenrechtskonvention zur Biomedizin

(Infoflugblatt von Anfang 1997)
 

Siegt die Forschungsfreiheit über die Menschenwürde?

Am 19.11.96 wurde vom Ministerkomitee im Europarat das „Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin verabschiedet. Seit 1. Dezember 1999 ist dieses Übereinkommen für bislang fünf Länder rechtsgültig.

Hinter diesem wohlklingenden Begriff verbirgt sich ein Übereinkommen, bei dem Menschenrechte zu Gunsten medizinischer Forschungszwecke abgebaut werden. Nach jahrelanger Geheimhaltung und späteren massiven Protesten mußte der Entwurf für eine Bioethik-Konvention zwar zurückgenommen werden, liegt aber nach der endgültigen europaweiten Verabschiedung in nahezu unveränderter Form jetzt dem Deutschen Bundestag zur Unterzeichnung vor.

Versuche an „Nichteinwilligungsfähigen“

Nach dieser Konvention dürfen Versuche an sog. „Nichteinwilligungsfähigen“ vorgenommen werden, wobei es genügen soll, daß der Nutzen für die Forschung bzw. nachfolgende Generationen im angemessenen Verhältnis zum Risiko für den Patienten steht, d.h. diese Versuche müssen nicht nur dem Wohle des Patienten dienen. Zu der Gruppe der „Nichteinwilligungsfähigen“ gehören Personen, die nicht ausreichend in der Lage sind, ihre Situation zu beurteilen und verantwortliche Entscheidungen zu treffen. Dies betrifft Alzheimerkranke, Komapatienten, schwer geistig Behinderte und einen Teil der psychisch Kranken. Dabei hat der gesetzliche Vertreter dieser Patienten z.B. der Betreuer bei alten Kranken oder geistig Behinderten ohne Angehörige zwar ein gewisses Mitspracherecht. Wie sich das aber realisieren läßt, wenn ca. 50 Klienten auf einen Betreuer fallen, ist fraglich. Schließlich müßte der Betreuer bei den Versuchen immer zur Überwachung dabei sein, was praktisch unmöglich ist. Des weiteren sollen an „Nichteinwilligungsfähigen“ nicht nur Versuche erlaubt werden, sondern auch die Entnahme von regenerierbarem Gewebe.

Unzureichender Datenschutz

Neben diesen Zwangsversuchen, die an dunkelste Zeiten erinnern, ist nach dieser Konvention auch die Weitergabe von Testergebnissen einer Genomanalyse (Analyse von Erbkrankheiten und genetischen Besonderheiten oder Merkmalen) an Dritte zugelassen. Diese Daten wären vor allem für Arbeitgeber und Versicherungen interessant. So könnte beretits eine Diskriminierung aufgrund der Gene bei der Arbeitsplatzsuche oder einem Versicherungsabschluß stattfinden, auch wenn solch eine Diskriminierung in der Konvention verboten ist.

Menschenzüchtung?

Die Genomanalyse ist auch eine mögliche Grundlage für Bevölkerungspolitik in großem Maßstab. Die UNESCO, die ebenfalls bei der Konventionsberatung dabei war, fragte bereits an, ob „Gentests z.B. in Ehetauglichkeitsuntersuchungen aufgenommen werden sollen, wie auf Zypern, und wieviel staatliche Intervention heutzutage wohl durchsetzbar sei, je nach ökonomischer und bevölkerungspolitischer Strategie“ (aus: UNESCO, „Bioethics and its implications worldwide for human rights protection“, CONF/93/4-Doc. Inf.1 vom 3.1.95). Daher ist es keineswegs abwegig anzunehmen, daß bald, um Kosten zu sparen, Kinder mit vor der Geburt erkannten Behinderungen oder Krankheiten nicht mehr geboren werden dürfen. Solche Kosten – Nutzen Analysen werden heute von einigen Wissenschaftlern bereits wieder aufgestellt. Kommt Ihnen das etwa auch bekannt vor? Man denke nur an Zwangssterilisationen und die Ermordung Kranker und Behinderter im Dritten Reich.

Dies sind nur einige Beispiele, was diese Konvention regeln soll. Die Bundesrepublik hat es zwar erreicht, daß die vorhergehenden Fassungen überarbeitet wurden. So wurden in einem früheren Konventionsentwurf auch Alkohol- und Drogenabhängige zu der Gruppe der „Nichteinwilligungsfähigen“ gezählt. Diese wurden jedoch wieder herausgestrichen. Außerdem wurde sie von „Bioethikkonvention“ in die beschönigende Form „Menschenrechtskonvention zur Biomedizin“ umbenannt, doch die Inhalte sind nahezu die gleichen. Andere Änderungsvorschläge, sowohl von Seiten der Parlamentarischen Versammlung als auch vom Deutschen Bundestag, wurden bei der Verabschiedung im Europarat jedoch nicht berücksichtigt.

Bislang wurde diese Konvention bereits von 25 Staaten unterzeichnet. Deutschland unterzeichnete dieses Abkommen bisher ebenso wie 15 andere Staaten noch nicht, da noch eine breite öffentliche Diskussion notwendig sei und dieses Übereinkommen auch im Hinblick auf das Embryonenschutzgesetz und die Versuche an „Nichteinwilligungsfähigen“ noch keinen ausreichenden Schutz bietet. Vor der Wahl schloß die alte Bundesregierung nach der Erstellung von Zusatzprotokollen, in denen insbesondere auch das Klonen von Menschen verboten wird, eine nachträgliche Ratifizierung nicht aus, da es sich wenigstens um Mindeststan-dards handele, welche bei manchen Ländern bisher noch nicht vorhanden waren. Das Zusatzprotokoll zum Klonen wurde bereits ausgearbeitet, schließt aber bei genauer Betrachtung das Klonen immer noch nicht vollständig aus. Jetzt soll demnächst noch einmal im Bundestag über eine Unterzeichnung der Konvention abgestimmt werden.

„Wertes“ und „unwertes“ Leben

Mit dieser Konvention, die vorgibt, die Menschenrechte zu schützen und einen gewissen Mindeststandard zu gewähren, fängt man bei genauerer Betrachtung jedoch wieder an, menschliches Leben in „wertes“ und „unwertes“ Leben einzuteilen. Dabei stehen die Menschenrechte alter, kranker und behinderter Menschen wieder offen zur Debatte. Der Australier Peter Singer ist nur einer der Wissenschaftler, die die oben erwähnten Kosten-Nutzen-Analysen aufstellen. So fordert er öffentlich die Tötung behinderter Neugeborener, da sie eine zu große finanzielle Belastung für die Gesellschaft darstellen.

Andere Wissenschaftler rechtfertigen die Versuche an Nichteinwilligungsfähigen damit, daß es darum geht, Solidarität zu zeigen mit der Gesellschaft, die die Mittel für die langfristige Betreuung dieser Patienten stellen und Solidarität mit den Kranken zukünftiger Generationen. Ist es daher aber zu rechtfertigen, daß ihre Menschenrechte für ein sogenanntes „höheres allgemeines Interesse“ vermindert werden? Wohin die Beschneidung der Menschenrechte Einzelner führen kann, haben wir jedoch schon damals im Dritten Reich gesehen, auch wenn unsere Verhältnisse heute anders sind. Aber wie ein Historiker einmal sagte: „Die Geschichte hat die Tendenz, sich zu wiederholen.“

Was kann ich dagegen tun?

Wenn Sie Ihren Teil dazu beitragen wollen, daß sich dieses dunkle Kapitel unserer Geschichte nicht wiederholt, dann schreiben Sie persönliche Briefe an die Bundestagsabgeordneten, die über diese europaweit geltende Konvention abstimmen müssen. Die Adresse lautet für alle gleich:

Bundeshaus, Platz der Republik 1, 11011 Berlin

 

Falls Sie noch Fragen haben oder gegen 10,- DM ein ausführliches Infopaket zu diesem Thema haben wollen, wenden sie sich bitte an:

Christian Frodl, Luitpoldstr. 9, 82110 Germering, Tel., Fax: 089/ 83 77 55
E-Mail: bioethik-konvention(et)christian-frodl.de, www.christian-frodl.de

Dies ist ein Aufruf der Münchner Initiative gegen die Menschenrechtskonvention zur Biomedizin und wird unterstützt von:

BayGSP (Bayerische Gesellschaft für Soziale Psychiatrie), VIF (Vereinigung Integrationsförderung, Claus Fussek ), VbA selbstbestimmtes Leben e.V., VzF e.V. (Verein zur Förderung der Emanzipation und Integration Behinderter und Nichtbehinderter), Gemeinsam leben lernen e. V., Städtischer Beraterkreis Behinderte der Landeshauptstadt München, C.B.A. e.V. (Cooperative Beschützende Arbeitsstätten), INTEG im Sozialverband Reichsbund e.V., Verein „Glückliches Haus“ e.V., DaGG (David gegen Goliath, Bernhardt Fricke, Stadtrat München), Münchner Crüppel Cabaret, Dr. Peter Radtke (Schauspieler und Autor), Ottfried Fischer (Schauspieler und Kabarettist), Bruno Jonas (Kabarettist), Dr. Volker Haas (Dipl.-Biologe), Max Weber (ehem. MdL SPD)

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